Rezension über das Buch von Beate Felten-Leidel:
Hasenherz und Sorgenketten – Mein Leben mit der Angst
Bonn, BALANCE buch+medien verlag,
in: Psychosoziale Umschau, Köln, Psychiatrie-Verlag, 27. Jg., 3/2012
Geschenke der Achtsamkeit
„Dies ist kein Fachbuch, kein Ratgeber und kein Selbsthilfebuch. Ich bin keine Angstforscherin,
sondern Schriftstellerin und Übersetzerin“, schreibt Beate Felten-Leidel über ihr Buch.
Welch ein Glücksfall, schreibt der Rezensent in seine Rezension. Denn so lebensnah, nachvollziehbar, schonungslos und gleichzeitig emotional, poetisch und ermutigend hat er selten über das ganze
Spektrum möglicher Ängste – von Prüfungsangst, über Klaustrophobie bis Panikattacken – gelesen.
„Trotzdem bin ich Expertin in Sachen Ängste“, fährt die Autorin fort, „denn sie haben mein Leben von klein auf begleitet. (...) Als Kind schämte ich mich, weil ich so schüchtern und ängstlich
war. Ich wollte kein Angsthase, kein Feigling, kein Sensibelchen sein.“ Und dann: „An meine Sensibilität und Ängstlichkeit habe ich mich nach über fünfzig Jahren gewöhnt. Sie gehören zu mir wie
meine Freude am Schreiben und mein Humor. Ich verstehe sie als Wesensmerkmal, als Teil meiner persönlichen Art, die Welt wahrzunehmen.“
Die Expertin aus Erfahrung geht sogar noch einen ermutigenden Schritt weiter: „Manchmal ist die Ängstlichkeit hinderlich und lästig, doch sie ist auch ein Geschenk, denn sie macht achtsam: für
die eigene Person, für andere, fürs Leben.“
So ist es kein Wunder, dass die Texte in diesem besonderen Buch literarisch gelungene Geschenke der Achtsamkeit sind. Schon die einzelnen Kapitelüberschriften aus jeweils zwei Substantiven haben
ihren eigenen Reiz: „Schwarzmeer und Schaukelsturz“, „Klassenkämpfe und Lampenfieber“ oder „Zwangsjacke und ‚Kummerbund’“. Andere heißen: „Fährfrau und Schreibhemmung“, „Kobolde und Sorgenketten“
oder „Liebeskummer und Espenlaub“, davon der erste Satz: „Ich war 21, als das große Zittern begann.“ Solche Kapiteleinstiege erzeugen eine gewisse Sogwirkung, findet der Rezensent, und führen zum
Prädikat: „Außergewöhnlich mitreißender Schreibstil“.
Besonders angetan hat es ihm die Metapher aus dem Kapitel „Tiger im Vorzimmer“. Zitat: „Die Natur hat mir keinen Schutzfilter mitgegeben. Ich lasse alles zu nah an mich heran. Leider gibt es auch
keine Sicherheitsgrenze, die andere wahrnehmen und respektieren können. ‚Du hast kein inneres Vorzimmer’, sagte mein Mann. ‚Zu dir kommt jeder ungefragt rein. Du brauchst eine Sekretärin, die
dich abschirmt.’ Er hatte recht.“ Also kaufte sich die Autorin als „Sekretärin“ einen riesigen Stofftiger, gab ihn als Kinderspielzeug aus und legte ihn in ihr Arbeitszimmer. „Es tat gut, ihn auf
dem Sofa zu sehen.“
Ein Beispiel von vielen, wie aktiv, kreativ und wohlwollend mit eigenen Ängsten umgegangen werden kann. Die Autorin beschreibt in zahlreichen Beispielen, was ihr konkret geholfen hat und auch,
was nach wie vor schwierig bleibt.
Vor allem zeichnet sie aber ihren oft unbequemen Weg nach, bis sie heute zu der oben zitierten positiven Lebenshaltung kommen konnte. Wie sie es durch eine imaginierte Begegnung mit der „Bleichen
Schwester“ schaffte, ihre Angst nicht weiter zu bekämpfen, skizziert sie eindrucksvoll
im Kapitel „Therapie und ferne Ziele“: „Es war der Wendepunkt in meinem Leben.“
Schon alleine diesen Wendepunkt als Leser mitzuerleben, lohnt den Kauf des Buches. Ich will die
berührenden Details hier nicht verraten.
Dieses Buch handelt darüber hinaus auch von Kriegstraumata, von Sterben und Tod, also den weiteren „großen Themen des Lebens“: „Ich habe dieses Buch auch als Vertreterin einer Generation
geschrieben, deren Eltern die Zeit des Nationalsozialismus und des Holocausts erlebt haben, und als Tochter eines Mannes mit eine unbewältigten Posttraumatischen Belastungsstörung. Für meinen
Vater ist der Krieg bis heute nicht zu Ende.“
Damit belegt die Autorin immer wieder plausibel, dass Ängste kein „individuelles Phänomen“ sind, sondern besonders in Deutschland ihre Wurzeln tief in der historischen Vergangenheit haben
(können). Die Idee, dass Kinder die nicht verarbeiteten Ängste ihrer Eltern und Großeltern übernehmen, mag nach wie vor „unglaublich“ klingen, mittlerweile ist sie jedoch durch ungezählte
Erfahrungsberichte, Untersuchungen und Therapieerfolge unabweisbar geworden.
Auch dafür ist dieses Buch überzeugendes Zeugnis.
Fazit: „Das Wesen eines Menschen besteht aus vielen Merkmalen, die sich ausgleichen und ergänzen können. Die ängstliche Seite kann man stärken und trösten. Aber man sollte sie nie verachten oder
verleugnen, sonst gerät sie aus dem Gleichgewicht.“
„Mein Leben mit der Angst“ ist ein literarisch exzellent gestaltetes Dokument der bewusst wiedergewonnenen Balance.
Hartwig Hansen, Hamburg
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